Pashmina - das kuschelweiche Gold der Nomaden
Für das Gras, das du eben gefressen hast, oh Ziege,
gib uns gute Pashmina.
Für das Wasser, das du eben getrunken hast, oh Ziege,
gib uns gute Pashmina.
Leg dich ins Gras und halt still, oh Ziege,
damit wir deine Pashmina nehmen können.
Lied eines Nomaden während des Auskämmens der Pashmina
Ladakh liegt im äußersten Norden Indiens, in der geopolitisch sensiblen Region zwischen Pakistan und Tibet. Das Karakorum und der Himalaya sind die beiden bestimmenden Gebirgsketten, der Indus wächst hier, von Tibet kommend, von einem kleinen Bach zu einem wilden, reißenden Fluss heran. Über nahezu ein Jahrtausend hinweg war Ladakh ein unabhängiges Königreich mit engen kulturellen Beziehungen zu Tibet. Erst 1834 verlor es seine Unabhängigkeit an die Dogra, die Hindu-Herrscher von Jammu, die das Schicksal der Hochgebirgswüste bis zum Anschluss an Indien im Jahre 1947 lenkten.
Die Menschen, die den Schafen und Ziegen folgen
Während die Mehrheit der Ladakhi der Agrarwirtschaft nachgeht, sind die Menschen im Osten des Landes Nomaden. Die Region Changthang, die geografische Fortführung des tibetischen Hochplateaus, ist ihre Heimat – gelegen auf durchschnittlich 4.500 Höhenmetern, mit klirrend kalten Wintern. Das Leben der Changpa, wie sich die Nomaden des Changthang nennen, ist eng an das ihrer Tiere gebunden. „Wir bleiben in Bewegung“, sagen sie, „denn wir sind die Menschen, die den Schafen und Ziegen folgen.“ Es sind die Schafe, Ziegen, Yaks und Pferde, die den Alltag der Changpa bestimmen. Wenn das ohnehin knappe Grün am Hochplateau abgegrast ist und das Wasser knapp wird, ziehen sie weiter. Oft bis zu zehnmal pro Jahr.
Das Vieh ist der Reichtum der Changpa. Gemüse- oder Getreideanbau ist auf dieser Höhe kaum noch möglich und wenn, wenig ertragreich. Es ist also nicht verwunderlich, dass sich der Reichtum einer Familie an der Größe ihrer Herde bemisst: je mehr Schafe, Ziegen und Yaks, desto wohlhabender. Lange Zeit galten Schafe und Yaks als die wichtigsten Tiere einer nomadischen Herde, ihnen kam auch in spiritueller und ritueller Hinsicht große Bedeutung zu. Die Ziegen hingegen galten als minderwertig und waren auch unter den Hirten wenig beliebt, sind sie doch schwerer zu hüten. Wenn Hirten fluchen, dann auf die Ziegen, die Schafe bleiben davon verschont.
Doch die Nachfrage bestimmt das Angebot. Nachdem die Grenze zu Tibet aufgrund politischer Unruhen zwischen Indien und China in den 60er-Jahren geschlossen wurde und damit der traditionelle Handel mit Pashmina-Wolle von tibetischen Ziegen zum Erliegen kam, mussten die Changpa-Nomaden den Bedarf der ladakhischen und kaschmirischen Händler decken. Seitdem steigt die Zahl der Ziegen im Vergleich zu den Schafen kontinuierlich, und auch ihr bislang schlechter Ruf hat sich markant verbessert.
Pashmina - kuschelweiches Gold
Es ist nicht das gesamte Fell der Ziegen, das von Interesse ist. Auf die feine Unterwolle, die Pashmina, haben es die Händler abgesehen, daraus werden dann teure Schals und kuschelweiche Cashmere-Pullover gefertigt und weltweit vertrieben.
Ende Mai wird zum ersten Mal Pashmina mithilfe eines speziellen Kamms ausgekämmt. Während des Winters liegt die Pashmina-Wolle eng am Körper und wärmt die Ziege bei den bitterkalten Temperaturen. Die Nomaden sagen, dass man Pashmina erst dann entfernen darf, wenn die Ziegen das erste frische Gras gefressen haben. Dann hat sich die Unterwolle schon langsam aufgestellt und lässt sich leicht entfernen. Pashmina wird nie auf einmal, sondern in Abständen entfernt, sonst würde die Ziege frieren und krank werden. Die Unterwolle von alten und kranken Tieren wird oft erst im August ausgekämmt. Von einer männlichen Ziege können etwa 300 g Pashmina geerntet werden, von einer weiblichen etwas weniger. Gesamt produziert der Changthang etwa 40.000 kg Pashmina pro Jahr.
Unverarbeitet wird die Pashmina dann verkauft, sowohl an private Händler aus Ladakh und Kaschmir als auch an staatliche Kooperativen, wobei Erstere bevorzugt werden, da sie bessere Preise zahlen.
Wer will schon Nomade sein?
Obwohl der Preis für Pashmina in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen ist und einige wenige Familien, die über eine große Ziegenherde verfügen, auch gut damit verdient haben, wollen immer weniger Menschen als Nomaden leben. Nicht von ungefähr.
Das ohnehin schwere Leben der Nomaden wird durch den Klimawandel noch schwieriger. Gerade im Himalaya sind die Folgen des Klimawandels schon heute deutlich zu spüren. Die Gletscher schmelzen rapide und gefährden die Trinkwasserversorgung von Mensch und Tier in der Hochgebirgswüste Ladakhs. Gleichzeitig ist das Wetter unberechenbarer denn je. In den vergangenen Wintern haben die Schneefälle im sonst niederschlagsarmen Ladakh zugenommen, und für den Changthang hatte das zur Folge, dass die Tiere durch die ungewöhnlich hohe Schneedecke kaum noch Futter fanden. Allein im Winter 2013 verendeten 40.000 Tiere, fast 25 % der gesamten Viehpopulation.
„Diese drei Wintermonate mit ihren extremen Schneefällen waren für uns wie ein Alptraum. Ich fürchtete um unser eigenes Leben, und es gab wenig, was wir für unsere Tiere tun konnten. Wir hatten kaum noch Holz und Dung, da das meiste nass geworden war. Ich habe noch nie in meinem Leben so einen harten Winter erlebt.“ Meme Urgyan Tuktsa, 73, Hirte aus Korzok, über den Winter 2013.
Und dann wären da noch die Kinder. Aufgrund der allgemeinen Schulpflicht in Indien müssen natürlich auch die Nomadenkinder in die Schule. Im Changthang selbst gibt es nur wenige Schulen, und so werden viele Kinder in die Hauptstadt, nach Leh, geschickt, wo sie dann im Internat auf das Leben vorbereitet werden sollen – ein Leben, das mit dem eines Nomaden nichts zu tun hat. In den letzten Jahren gab es Versuche privater Organisationen, „fahrende Schulen“ zu organisieren, die mit den Nomaden von Weidegrund zu Weidegrund ziehen. Jedoch ist ein Lehrerjob an solchen Schulen so unbeliebt, dass es hier große personelle Schwierigkeiten gibt.
Die Zukunft der Nomaden
Das Klima und die Zukunft ihrer Kinder sind die häufigsten Gründe, warum Nomaden in die Städte (bzw. die einzige Stadt Leh) abwandern. Sie verkaufen ihre Herden, was plötzlich viel Geld bringt – mehr als die Nomaden sonst zu haben gewohnt sind – und suchen ihr Glück in Leh. Doch das finden sie nur in den seltensten Fällen. Langzeitarbeitslosigkeit und Alkoholismus sind die größten Probleme der abgewanderten Nomaden.
Nach einer Legende der Changpa-Nomaden webt Dugmo, die Frau des mythischen Königs Gesar von Ling, an einem Stoff. Jahr für Jahr je eine Reihe, und wenn der Stoff endlich fertig ist und die letzte Reihe gewebt wurde, kommt die Welt zu einem Ende. Manche sagen, es sind nur noch 15 Reihen, die verbleiben … Es bleibt zu hoffen, dass sie noch länger an ihrem Webstuhl sitzt und die Probleme der Nomaden noch gelöst werden können.
Text: Daniela Luschin-Wangail
Februar 2019